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Pressestimmen

Ein eindringliches Einsamkeitsporträt, bei dem die Sehnsucht nach Liebe in sexuellen Kicks versandet, die Flucht vor innerer Leere in selbstzerstörerische Exzesse mündet: „Egoshooter“ von Christian Becker und Oliver Schwabe. Der 19-jährige Jakob driftet haltlos durchs Leben und filmt sich dabei mit der Videokamera – als könne er auf diese Art etwas wie ein Selbstbild, eine Kontur, eine Identität entdecken. Er beobachtet heimlich seinen Bruder und dessen schwangere Freundin im Schlafzimmer, sich selbst beim Masturbieren, seinen Freund bei Auftritten als HipHop-Sänger. Er betrinkt sich, dringt in fremde Häuser ein, zertrümmert das Mobiliar. Ein Glücksgriff ist die Besetzung der Hauptrolle mit Tom Schilling, der schon in „Napola“ für Glanzlichter sorgte und hier, in der experimentellen Erzählform eines Videotagebuchs, dem schroff fragmentarischen Lebensgefühl Jakobs bezwingende Glaubwürdigkeit verleiht.
- Süddeutsche Zeitung


Ein sympathisches Debüt, dem man eine Chance im Kino wünscht. Das gilt auch für „Egoshooter“: Das radikalste Experiment des Festivals handelt vom fiktiven Videotagebuch eines 19-Jährigen. Tom Schilling spielt einen Jungen, der noch auf der Suche ist und sich treiben lässt. Momentaufnahmen zwischen universaler „teenage angst“ und dem Lebensgefühl der „Generation Krise“.
- Berliner Zeitung


Der heimliche Star der Hofer Filmtage ist ein junger Berliner namens Tom Schilling. (...) In Hof war er gleich doppelt grandios als Gauleitersohn in „Napola“ und als in den Tag hineinlümmelnder Jugendlicher in Christian Beckers und Oliver Schwabes „Egoshooter“, der die Leere in sich mit Videoaufnahmen zu füllen versucht. Schilling, fühlt man, wird nie ein Tom Cruise werden, aber vielleicht ein Gene Hackman. Dem könnte man stundenlang beim Vorlesen des New Yorker Telefonbuchs zusehen, und auch „Egoshooter“ ist im Grunde eine Ein-Schilling-Show, die ihm quer durch Köln folgt, wo er nur minimal mehr als nichts tut und wo er manchmal, wenn ihm seine Umgebung gar zu banal wird, die Kamera auf sich selbst richtet.
- Die Welt


Tom Schillings eigentümlich irrlichternde Präsenz steht auch im Mittelpunkt von „Egoshooter“, einem inszenierten Videotagebuch, das so wirkt, als habe Schilling seine Rolle als Herbert Knaups Sohn in „Agnes und seine Brüder“ hier fortgesetzt. Die Regisseure Christian Becker und Oliver Schwabe hatten bei einem ähnlichen Projekt mit realen Jugendlichen festgestellt, wo die Grenzen dieser Methode und wo ihre Möglichkeiten liegen. So haben sie mit Schilling ihr Sendeformat nachinszeniert, haben Situationen geschaffen, innerhalb deren sich der Schauspieler frei bewegen konnte. Entstanden ist ein interessanter Zwitter, Porträt einer Jugend einerseits, aber auch Dokument des Mutes eines Schauspielers, sich auf dieses Experiment einzulassen.
- Frankfurter Allgemeine Zeitung


Narziss mit der Videokamera
Im Fegefeuer der Selbstsuche - Tom Schilling in „Egoshooter" von Christian Becker und Oliver Schwabe
Müßiggang ist keineswegs, wie es das vorlaute Sprichwort verkündet, aller Laster Anfang, vielmehr eine Kunst, die hingebungsvoll geübt sein will. Alle großen Mystiker und Weltweisen waren Meister des Müßiggangs, bevor sie gelassen den Pfad einer vita contemplativa be-schritten. Zu solcher Gelassenheit hat der 19-jährige Jakob (Tom Schilling) längst noch nicht gefunden. Er driftet haltlos durchs müßiggängerische Leben, angetrieben von vagen Liebessehnsüchten, fliehend vor dem nagenden Gefühl innerer Leere, verbannt ins Fegefeuer jugendlicher Selbstsuche.
In Köln haust er zusammen mit seinem älteren Bruder Kris und dessen schwangerer Freundin Karo in einer kleinen. kahlen Wohnung, die man schwerlich ein Zuhause nennen kann. Keinerlei Willensdramaturgie rhythmisiert sein Leben: Jakob verfolgt keine Karriere, sucht keinen Job, will keinerlei festere Beziehungen knüpfen, Er hält sich einzig an einer Videokamera fest, mit der er seinen Alltag aufzeichnet: von den Gängen durch die Fußgängerzone, wo er Passanten um Geld anschnorrt, bis zum nächtliche Mas-turbieren unter der Bettdecke. Er filmt seinen Freund bei Auftritten in der Rapper-Szene und beobachtet heimlich durch den Türspalt Kris und Karo beim Liebesspiel. Die Kamera soll die Zeit, die ihm zwischen den Fingern zerrinnt, irgendwie festhalten und ihm ein Bild von sich, seiner Welt, seinen Sehnsüchten liefern. So entstehen tagebuchartige Splitter eines fragmentierten Lebensgefühls, das von Jakobs Verlorenheit erzählt.
In vielen Filmen ist er uns schon begegnet: dieser orientierungslose Jugendliche, der mit einer Videokamera nach Selbstvergewisserungen sucht. In „American Beauty" fand er das schöne Bild von der windverwehten Plastiktüte, in der sich all die Traurigkeit seines Getriebenseins versammelte; in Oskar Roehlers „Agnes und seine Brüder" -wo er auch von Tom Schilling verkörpert wurde -durfte er sich mit der Kamera gegen einen tyrannischen Vater zur Wehr setzen. Egoshooter Jakob hat keine Feindbilder, an denen er sich abarbeiten könnte. Er muss ohne das Pathos einer Weltanklage auskommen. Wenn Jakob in fremde Wohnungen einbricht, um dort das Mobiliar zu zertrümmern, dann verfolgt er keine politische Mission wie die Protagonisten in „Die fetten Jahre sind vorbei". Manchmal malt er sich schon ein „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" als Traum aus, aber im nächsten Augenblick wird das als haltlose Illusion dementiert.
Eindringlichkeit gewinnt „Egoshooter" gerade darin, dass Jakobs Einsamkeit unverstellt sichtbar wird. Hier sucht einer auf der weitabgewandten Seite des Lebens vergeblich nach dem Gefühl vorhanden zu sein, wirklich zu sein. Nie erfährt er so etwas wie Nähe oder Vertrautheit - nicht mit dem Freund, mit dem er kriegspielend durch die Wälder streift, schon gar nicht mit der Freundin aus der Clique, die sich ihm nach einem kurzen, kühl absolvierten sexuellen Abenteuer gleich wieder entzieht. Ein Ausgeschlossener, ein Voyeur, ein Narziss.
Aber die Verlorenheit behält nicht das letzte Wort. Es gibt die spielerischen Momente: eine plötzliche Leichtigkeit des Seins. Gehalten wird der Film von Tom Schillings Präsenz, seiner musikalisch rhythmisierten Unruhe, seinen nuanciert ausgespielten Stimmungsbögen, seinem Fächer aus stummer Verzweiflung, Coolness-Maskerade und trotzigem Aufbegehren. Und dann die leuchtenden Augenblicke, in denen Schilling dem Müßiggänger Jakob die Souveränität eines Kontemplativen verleiht: wenn er durch die Straßen flaniert, alle Verzweiflung abstreift, und mit dem Anflug eines Lächelns die Hohlheit des Weltgetriebes durchschaut. (Rainer Gansera)
- Süddeutsche Zeitung


Wir nehmen die Notbrücke
Der Schauspieler Tom Schilling liefert sich mit Haut und Haaren der Kamera aus
Jakob ist neunzehn, lebt in Köln mit seinem Bruder und dessen schwangerer Freundin und tut den Sieben langen Tag wenig anderes, als dieses Leben mit seiner Videokamera zu dokumentieren. Dabei entsteht das Porträt eines Jugendlichen, der um sich selbst kreisend und filmend eine Ausdrucksform für seine Befindlichkeit sucht. Das sieht aus wie echt, ist aber erfunden - und dann doch auch wieder nicht, weil sich der Schauspieler Tom Schilling die Kamera natürlich angeeignet und seine eigenen Bilder in das Projekt eingespeist hat.
Um zu verstehen, wie es zu dem Experiment "Egoshooter" kam, muß man vielleicht wissen, daß Regisseur Oliver Schwabe seit 1998 beim NDR eine Reihe namens "Videotagebuch" herausgegeben und betreut hat und diese Erfahrungen nun zusammen mit seinem Co-Regisseur Christian Becker in die fiktive Figur des Jakob hat einfließen lassen. Die beiden haben das Sendeformat quasi nachinszeniert, nachdem sie herausgefunden hatten, wo die Grenzen dieser Methode liegen und wo ihre Möglichkeiten. Es wurden also Situationen geschaffen, innerhalb deren sich Schilling frei bewegen konnte. Und ein paar der Jugendlichen, auf deren Videotagebüchern der Film zum Teil beruht, spielen auch mit und werden so quasi zu Komparsen ihrer eigenen Biographie. Aber so fühlt sich in der Jugend ohnehin fast jeder.
Dieser dauernde Brückenschlag zwischen der Wirklichkeit und ihrer Simulation wird auch dadurch zusätzlich verwirrt, daß man Schilling erst vor kurzem in „Agnes und seine Brüder" sehen konnte, wo er ebenfalls dauernd mit einer Videokamera herumläuft und unter anderem seinen Vater dabei filmt, wie er telefonierend sein Geschäft verrichtet. Fast könnte man so den Eindruck haben, „Egoshooter" zeige, was der Sohn aus „Agnes" sonst noch so gedreht hat. Das ist jene Art filmischer Doppelbelichtung, welche die Frage zusätzlich verschärft, wo Fiktion anfängt und die Realität aufhört.
Man sieht also den jungen Mann, der sich gerne selbst bespiegelt, und die Verlorenheit in Schillings Blick ist fast identisch mit dem verlorenen Blick, den er mit der Kamera durch die Welt schweifen läßt. Er filmt den Bruder beim Sex, dessen Freundin das merkt, aber nicht protestiert. Dieses stumme Einverständnis scheint ihn in seinen Gefühlen für sie noch zu bestätigen, aber womöglich hegt er sie ohnehin nur, um in der festen Beziehung seines Bruders etwas Unfrieden zu stiften und etwas Bewegung ins eigene richtungslose Leben zu bringen. Es ist noch ein anderes Mädchen im Spiel, mit dem er Petting unter freiem Himmel hat, das aber der Sache nicht mehr Bedeutung verleiht als nötig. Einmal sieht man ihn masturbieren, und das erinnert dann fast schon an die Filme von Larry Clark, ohne daß „Egoshooter" an deren Abgründen wirklich interessiert wäre. Köln liegt eben nicht in den Vereinigten Staaten.
Die Methode zwischen Improvisation und Penetranz bringt mitunter einige Längen mit sich, aber Schilling entwickelt eine Präsenz, die dem Film einerseits eine ganz eigene Spannung verleiht und andererseits die Natürlichkeit innerhalb der Clique nicht zerstört. Und es gibt eine Szene, wo er sich mit der Mutter eines Freundes betrinkt, die man kaum besser hätte schreiben können, weil in ihr spielend etwas sichtbar wird, was zwischen Figuren sonst schwer herzustellen ist: ein jähes Gefühl von Wärme, in dem sich zwei Einsame plötzlich finden. Und eine Ahnung davon, daß es zwischen den Generationen noch etwas anderes geben könnte als bloßes Unverständnis. Und so gelingt dann eben doch das Porträt einer Jugend, die alles mal ausprobiert: Drogen, Alkohol, Sex, Liebe, Erwachsensein. (Michael Althen)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung


Ich bin, also filme ich
Vom Verschwinden des eigenen Lebens in der permanenten Videoaufzeichnung: In Christian Beckers und Oliver Schwabes "Egoshooter" filmt ein 19-Jähriger seinen eigenen Stillstand.
Ein Leben ohne seine Videokamera kann sich der 19-jährige Jakob nicht mehr vorstellen. Als sein Bruder sie einmal zum Spaß versteckt, gerät Jakob in Panik. In dem Moment ist es so, als hätte er seine Brille verloren und wäre nun praktisch blind. Jakob hat sich so daran gewöhnt, die Welt durch das Auge der Kamera zu sehen, dass er seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr vertraut. Das Leben findet nur noch in seinen Abbildern statt, was sich nicht aufzeichnen lässt, hat für Jakob keine Bedeutung. Das Filmen ist zur Obsession geworden. Nichts darf dem Blick der Kamera verborgen bleiben, und so läuft sie selbst dann noch, wenn er sich im Badezimmer selbstbefriedigt.
Die Kinder von McLuhan und MTV
Wie einst die Daguerreotypien haben Home Movies und Amateurfilme die Art, sich zu erinnern, verändert. Die Möglichkeit, einen Moment in Gänze aufzuzeichnen, ist verlockend, birgt aber auch eine Gefahr: Der Prozess der Aufzeichnung schafft eine Distanz, die sich nie ganz überwinden lässt. Dass das Leben im Sucher einfach anders aussieht, war natürlich auch den Avantgarde- und Experimentalfilmern der 1950er und 60er Jahren bewusst, deren Film-Tagebücher immer auch die Bedeutung von Bildern innerhalb der Gesellschaft mit reflektierten. So beiläufig manche ihrer Filme wirken, sie bleiben Teil eines größeren ästhetischen und gedanklichen Projekts.
Der von Tom Schilling verkörperte Jakob wandelt in Christian Beckers und Oliver Schwabes Egoshooter zwar auf den Spuren dieser Filmemacher, aber im Gegensatz zu ihnen folgt er keinem reflexiven Konzept. Wenn er ziellos durch Köln driftet und dabei seine Kamera laufen lässt, dann ist das vor allem eine Art von Beschäftigungstherapie. Die Videokamera verbindet ihn mit anderen Menschen, ohne dass er sich direkt auf sie einlassen müsste. Insofern spielt es für ihn auch keine Rolle, ob er nun heimlich Fremde in der U-Bahn filmt, oder ob er seinen Bruder Kris (Lennie Burmeister) und dessen schwangere Freundin Karo (Lilia Lehner) beim Liebesspiel beobachtet.
Dass Jakobs Blick nie seine Unschuld verliert, macht seine Bilder faszinierend, verleiht ihnen aber auch etwas Irritierendes. Anders als er, der nicht über die Bedeutung seiner Aufzeichnungen nachdenkt und nicht versteht, warum sich Kris über den Eingriff in seine Intimsphäre aufregt, ist sich das Publikum der Transgressionen bewusst: Alles, was Schilling, der Jakobs Kamera selbst geführt hat, filmt, konfrontiert uns mit unserem eigenen Voyeurismus. Die Selbstverständlichkeit, mit der ein orientierungsloser 19-Jähriger in das Leben anderer eindringt, fällt auf uns zurück. Wie er sind wir die Kinder von Marshall McLuhan und MTV und leben in einer Welt, deren Realität von Fernsehbildern okkupiert ist.
Es gibt keine Geschichte und keine Entwicklung in Egoshooter, kaum etwas unterscheidet die subjektive Kamera von dem Blick der beiden Regisseure auf ihren Protagonisten. Wie Jakob treibt der Film vor sich hin. Schon das Pseudonym "Field Recordings", unter dem Becker und Schwabe in den Credits firmieren, weist auf den Charakter ihres Experiments hin. Jakobs Story ist Fiktion, die Situationen, in die er gerät, sind inszeniert, aber der Look ist der eines Videotagebuchs oder Home Movies. Weder Jakob noch die beiden Filmemacher glauben an eine Hierarchie der Ereignisse. Alles ist gleich bedeutend oder unbedeutend. Natürlich hat etwa die zufällige Begegnung zwischen Jakob und der Folk-Legende Nikki Sudden in einer U-Bahn-Unterführung einen surrealen, magischen Touch. Doch der ständige Fluss der Bilder reißt sie genauso mit sich fort wie alles andere.
Egoshooter nimmt uns mit auf eine Reise durch eine Gegenwart, die sich in erster Linie durch das definiert, was in ihr fehlt. So phantasiert Jakobs bester Freund, der Freestyle-Rapper Phillip, einmal von einer "wirklich guten Jugendbewegung, durchaus mit einer gewaltbereiten Masse, die noch dazu bereit ist, alles ein bisschen umzustürzen". Doch diese Masse gibt es nicht, und natürlich stellt sich darüber hinaus die Frage, wie dieses bisschen Umsturz überhaupt aussehen könnte.
Wie allen Figuren des Films fehlen auch Phillip die Kraft und die Ideen, die für eine Erneuerung ihrer Welt unerlässlich wären. Das einzige, was sich für sie bewegt, sind die Bilder des Fernsehens und der Tapes, die Jakob von seinem Stillstand macht. Die fiebrige Intensität, die von Schillings Spiel ausgeht, erwächst aus der inneren Leere seiner Figur: Jakob weiß nicht, was er vom Leben und von den Menschen will. So wie ihm ein Bewusstsein für seine Ängste, Konflikte und Wünsche fehlt, so hat Jakob auch kein Bewusstsein für die Bilder, die er aufzeichnet.
Ich filme, also bin ich
In David Holzman's Diary, Jim McBrides 1967 entstandenem Meilenstein des frühen New-Hollywood-Kinos, führt ein junger Mann ein Filmtagebuch, um sich Klarheit über sich selbst und seine Umwelt zu verschaffen. Nach dem Motto "Ich filme, also bin ich" nimmt er seine 16-mm-Kamera überall mit hin, doch am Ende muss er erkennen, dass ihm seine Bilderobsession Schritt für Schritt sein Leben nimmt. Seither sind private Videotagebücher und vom Fernsehen ausgestrahlte Home Movies so selbstverständlich geworden, dass sich Jakob gar keine Gedanken mehr über Sinn oder Unsinn seines Handelns machen muss. Für ihn gilt einfach: "Ich bin, also filme ich." (Sascha Westphal)
- Frankfurter Rundschau


Objektiv subjektiv
“Egoshooter“ – ein radikales Kinoexperiment
Erstmal Schnellrücklauftaste. Zu Oskar Roehlers “Agnes und seine Brüder“. Die Familienhölle mit Herbert Knaup und Katja Riemann. Der nervende Sohn mit der Videokamera. Richtig, Tom Schilling. Kleiner fieser Vaterhasser. Kleines fieses Muttersöhnchen, das den Vater beim Wutanfall filmt. Bis der gegen den Sohn tobt, der das alles aufzeichnet. So’n Videotagebuch wahrscheinlich. “Meine Scheißfamilie“ könnte das heißen, Tag X, Monat Y, Jahr Z. Und jetzt zurück. Alles auf Anfang. Film ab. Naja, Film.
“Egoshooter“ ist so, als wäre “Agnes“ anders weitergegangen. Übergegangen in den Sohnfilm. Weg von Mama, hau weg den Papa und in einer komischen WG weitermachen mit dem frischen Leben. Tom Schilling filmt die blöde Welt. Tom Schilling filmt sich selbst, den auch irgendwie Blöden. Nur dass er hier Jakob heißt. In einem kunstvoll erfundenen Videotagebuch, das kunstlos krudes Videotagebuch spielt. Handlung gibt es keine. Es geht nur so durch die Tage. Und Träume. Total anstrengend. Total entspannend. Nichts muss passieren. Passiert schon was, immer wieder.
Tom Schilling alias Jakob lebt jetzt mit einem Bruder zusammen. Der hat eine Freundin. Die ist schwanger. Tom Schilling alias Jakob filmt die beiden beim Sex. Der Bruder merkt’s erst nicht, die Freundin lässt es zu. Später streichelt er die Brüste der Schwangeren, während sie schläft. Und filmt das. Alles filmt er. Wie er masturbiert. Wie er eine Freundin mit der Hand befriedigt. Wie sie nachher sagt: “Weißt du, was ich schön fand: dass du ihn nicht reingesteckt hast.“ Oder jemand filmt sie beide. Aber egal. Irgendwann sind die objektive und die subjektive Kamera eins.
“Egoshooter“ ist manchmal wie die “Ego-Shooter“-Computerspiele: Tom/Jakob schießt aus der “first person“-Perspektive auf sein Leben. Manchmal auch schießt die Kamera auf Jakob, als hielte er sie selber: Wie er am Rheinufer langradelt, bis er sich eine blutige Nase holt. Wie er sich als verlorener Bubi auf Klassenfahrt ausgibt und in der Fußgängerzone fürs Bahnticket bettelt. Wie er sich mit irgendjemandes verlorener Mutter besäuft. Wie er eine Nachbarwohnung zerkloppt. Nur so. Und immer so weiter. Das könnte jetzt immer so weitergehen.
Ja, Jakob ist einsam. Ein Selbstgesprächiger. Ein Abhänger. Einer, der sich immer wieder verliebt, neenee, war nicht so gemeint. Ein Elternloser auch. Ein Zukunftsloser. Einer wie so viele, die du in der U-Bahn siehst und die dich mit ihren müd-nervösen Augen filmen. Dann wieder halten sie die Kamera auf sich selbst. Ihr Gesicht. Die Entpuppungsstationen der Kindheit von einem Blick zum nächsten. Tom Schilling macht das sehr gut. Er spielt keinen, der sich jetzt bloß deshalb verändert, weil das hier ein Film sein soll. Sondern einen, der ist. Angenehm unangenehm.
Es gibt auch zwei Regisseure, beide Absolventen der Kölner Kunsthochschule für Medien. Den Kurzfilmer Christian Becker. Und Oliver Schwabe, der seit 1998 sieben echte Videotagebücher von echten Jugendlichen fürs Fernsehen zusammengeschnitten hat. Ein Lebensjahr in 45 Minuten. Das fanden die Leute um Wim Wenders’ Produktionsfirma Reverse Angle Factory so toll, dass sie den beiden vorschlugen: Erfindet doch mal so ein Leben. “Egoshooter“ ist der vierte Film in der WDR-Nachwuchsreihe “radikal digital“ und ihr radikalster.
Nochmal zurück die Schnelllauftaste. Hans Weingartners “Weißes Rauschen“, noch so ein Kölner Wahnsinnsprojekt. Das war Daniel Brühl damals, als ihn noch keiner kannte. Tom Schilling, den sie alle schon kennen, holt in “Egoshooter“ was nach. Jakob kommt zu sich, ich meine, Tom, und das ist gut. Ob Videotagebuchschreiben oder uraltschönen Tintenkram: Was passiert, ist gar nicht so wichtig. Nur das Gefühl, dass es immer weitergeht, irgendwas. (Jan Schulz-Ojala)
- Tagesspiegel


Egoshooter
Auf den Hofer Filmtagen fand aus deutscher Sicht vor allem das experimentelle Videotagebuch des Regie-Duos Christian Becker und Oliver Schwalbe viel Beachtung. "Egoshooter" ist das Selbst-Porträt eines orientierungslosen jungen Menschen und somit auch aktuelles Spiegelbild einer heranwachsenden Generation, die herzlich wenig mit sich anzufangen weiß. Titel(-Anti-)Held Tom Schilling, der zuletzt in "Napola" brillierte, könnte mit dieser Light-Version eines Larry-Clark-Films Programmkinos zu respektablen Besucherzahlen verhelfen.
Wim Wenders macht nicht nur Filme, er kümmert sich auch um den Nachwuchs. So konnten unter seiner Schirmherrschaft bereits drei junge Regisseure, darunter Marc Ottiker ("1/2 Miete"), ihr Talent beweisen. "radikal digital" nennt sich sein Projekt, und an dieses Motto haben sich Christian Becker und Oliver Schwabe - beide Absolventen der Kölner Kunsthochschule für Medien - auch strikt gehalten. "Egoshooter" ist ein Tagebuch in Bildern, das zum Teil von einer "objektiven" (Video-)Kamera, zum anderen aus der Sicht des Protagonisten, in diesem Fall Jakob alias Tom Schilling, festgehalten wurde. Dieser Jakob ist 19 Jahre alt, lebt mit seinem Bruder und dessen schwangerer Freundin in einer Kölner Wohnung und zeigt ansonsten wenig Interesse an Arbeit oder anderen sinnvollen Beschäftigungen. Einem Hobby frönt er aber, und das ist seine Videokamera. Sie ist sein ständiger Begleiter, mit ihr beobachtet er sich selbst - beim Masturbieren, beim Zerstören von Mobiliar, beim Geldschnorren am Bahnhof - und auch andere, wie seinen Bruder mit Freundin beim Kopulieren, einen rappenden Kumpel, die betrunkene Mutter eines Freundes.
"Egoshooter" besitzt keine Dramaturgie im herkömmlichen Sinne, stattdessen werden verschiedene Momentaufnahmen, Fragmente aus dem Leben eines Jugendlichen, aneinander montiert, die - einem Mosaik gleich - am Schluss ein großes Ganzes ergeben sollen. Das Porträt einer Generation, die nichts mit sich anzufangen weiß, die keine Ideale mehr besitzt und in depressiver Passivität versinkt. Authentisch wirkt dabei nicht nur die technische Umsetzung - fahrige, unscharfe, verwackelte Bilder unterstreichen den amateurhaften Umgang des "Videotagebuchführers" mit dem Medium -, auch die Darsteller, die mit wenigen Ausnahmen mit Laien, die sich teils selbst spielen, besetzt wurden, kommen glaubwürdig rüber. Das unkonventionelle Regie-Projekt, das phasenweise an Larry Clarks "Kids" erinnert, ohne dessen Radikalität zu erreichen, steht und fällt mit der Performance von Tom Schilling, der sich dem filmischen Experiment mit viel Mut gestellt hat. Zum einen, weil er hier sein Innerstes nach außen gekehrt und viel Privates von sich freigegeben hat, zum anderen, weil er sich ohne Vorkenntnisse an die Führung einer Kamera gewagt hat. Fazit: "Egoshooter" ist ungewöhnlich und unbequem, aktuell und andersartig - und schon allein deshalb eine Belebung im deutschen Kino-Kinderfilm-Komödien-Einerlei. (lasso)
- Blickpunkt Film


Gefilmtes Tagebuch
Das Leben einmal anders: Ein offenes System, unklar und fragil. Ein 19-Jähriger auf der Suche nach sich selbst. Jakob lebt mit seinem Bruder zusammen in Köln. Er filmt sich selbst, notiert tagebuchartig mit der Kamera sein Tun, inklusive all seiner Schwächen: als Voyeur, der den Bruder mit dessen Freundin im Bett beobachtet, als Säufer auf Partys, als Schnorrer vor dem Hauptbahnhof. Es gibt ein Mädchen, für das er sich interessiert - sie schläft mit ihm, aber weist ihn später zurück.
Großartig, intensiv und präsent ist Tom Schilling in der Hauptrolle. Mitunter wird der Film fast zur One-Man-Show, lebt von den Einfällen seines Hauptdarstellers. Vieles ist improvisiert, was dem Film seine Überraschungen und seinen Cinema-verité´-Touch gibt, ihn manchmal aber auch an Konzentration verlieren lässt. "Egoshooter" von Christian Becker und Oliver Schwabe ist in seinen Produktionsbedingungen - ein Low-Budget-Film von Wim Wenders' Firma und dem WDR - wie auch in Form und Inhalt ein Experiment, und zwar ein weitgehend geglücktes. Zugrunde liegt ein fürs Fernsehen entstandenes Videotagebuch-Projekt mit realen Jugendlichen.
Wie wenige andere Filme fängt dieser einen der zentralen Aspekte eines gegenwärtigen Lebensgefühls ein: Das Driften, das Flanieren durch Zeit und Raum - heute eine Mischform aus Zeittotschlagen und Herumhängen -, das Suchen, ohne zu wissen, wonach. Alles scheint fragmentarisch. Dass der Film nicht versucht, dies zu einer Botschaft, einem Gegenentwurf gar zusammenzuzwingen, sondern es in seiner Offenheit, die auch Haltlosigkeit ist, belässt, ist seine Stärke. Am Ende bleibt Einsamkeit. Dass diese nicht doch noch tröstlich mit einem Happy-End und einer Sinn-Soße übergossen wird, daran muss man sich erst wieder gewöhnen, auch im deutschen Kino. (Rüdiger Suchsland)
- Münchener Merkur


Rumhängen im Nichts
"Egoshooter" mit Tom Schilling ist eine großartige Ein-Mann-Vorstellung
Spielen wir Brüder-Spotting. Harry etwa, hochstapelnder Punk-Band-Manager in "Verschwende deine Jugend", könnte ein Bruder von Marko sein, der sich in "Elefantenherz" hochboxen möchte. Floyd wiederum, der in "Absolute Giganten" eine letzte Nacht in Hamburg durchmachen will, bevor er als Matrose anheuert, ist wie ein Bruder von Felix, der in "Klasse von '99" vom Studium heimkehrt, um dann doch nestzuflüchten.
Wer sich im Neuen Deutschen Kino umsieht, findet viele Brüder im Geiste, alle auf der Suche nach sich selbst. Die einen probieren sich durchzubeißen, die andern zieht es in die Ferne, aber nie steht am Ende der wegweisende Pfad ins Leben. Mit "Egoshooter" erhalten Harry und Marko und Floyd und Felix noch einen Bruder, und der heißt Jakob und ist der jüngste - und authentischste.
Jakob, 19, lebt mit seinem älteren Bruder und dessen schwangerer Freundin in einer kahlen Wohnung; der Vater blasse Erinnerung, die Mutter mit Freund irgendwo im Süden. Dies ist Deutschland, genauer Köln, und die drei leiden keine materielle Not, aber dafür an etwas anderem, schlimmerem: Sie haben nicht die Bohne von Idee, was sie mit sich anfangen sollen.
Dieser Jakob ist Fiktion - und doch dokumentarisch. Drei Jahre lang hatte der Filmemacher Oliver Schwabe Jugendlichen eine Kamera in die Hand gedrückt und sie ihr Leben filmen lassen. Mit Christian Becker destillierte er daraus die Figur des Jakob, der ebenfalls mit Kamera umherläuft und die Leere um sich zu füllen sucht, indem er sie auf Video bannt. Die einzigen Beweise seiner Existenz sind die Kassetten, wo er den Kumpel beim Rappen festhält oder Bruder und Freundin beim Sex oder sich selbst beim Masturbieren. Er könnte sich mit Julia Hummer in "Gespenster" zusammentun, einer Schwester im Geiste, die auch hofft, über die Wahrnehmung der Kamera von der Welt wahrgenommen zu werden.
"Egoshooter", produziert vom Wim Wenders' Nachwuchsschmiede "radikal digital", faßt jugendlichen Existenzekel in präzise Bilder. Die Jungen haben stets gebieterisch verlangt, daß die erwachsene Welt von ihnen Notiz nehme, aber Jakob & Co. ernten nur Nichtbeachtung. Ihre Rebellionen sind auch zu lächerlich. James Dean fuhr noch Autos zu Schrott, Tom Schilling holt sich eine blutige Nase bei Faxen mit dem Rad. Die 68er starteten die sexuelle Revolution, Tom Schilling geht abends zu zwei Mädchen, aber sie inhalieren nur Helium. Die "Fetten Jahre"-Helden steigen in Villen ein, um die Besitzenden zu verunsichern, Tom Schilling fällt bei seinem Einbruch nicht anderes ein, als die Pornos des Hausherrn zu konsumieren.
Schilling und immer wieder Schilling. "Egoshooter" ist im wesentlichen eine Ein-Mann-Show, ähnlich Hannelore Elsners "Mein letzter Film", aber der 22jährige hat es noch schwerer, weil er im Vakuum operieren muß, beraubt fast jeglicher Emotion und Aktion. Das jedoch tut er mit phänomenaler Präsenz: Tom Schilling macht das Nichts greifbar. (Hanns-Georg Rodek)
- Die Welt



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